In meiner bisherigen beruflichen Laufbahn – sei es als Unternehmensberater, Controller oder Produktmanager – habe ich viel (sehr viel) mit Excel gearbeitet.
Während viele Menschen eine eher auf Notwendigkeiten basierende Beziehung mit Excel führen, halte ich es für eine der besten je entwickelten Software-Produkte überhaupt. In diesem Artikel möchte ich ein kleines Loblied auf Excel – ja, Tabellenkalkulation im Allgemeinen – anstimmen.
Es gibt aus meiner Sicht fünf große Punkte, die ich an Excel liebe bzw. die Excel zu einer ganz besonderen Software machen.
1. Die Macht des Einflusses
Excel und seine Brüder und Schwestern in blau (Word) und orange (PowerPoint) gehören zu den einflussreichsten Software-Lösungen, die je gebaut worden sind. Ich frage mich:
Wie viel BIP-Volumen weltweit geht pro Jahr auf die Verwendung von Tabellenkalkulationen zurück?
Neben Windows (Desktop) und iOS (Mobile) als wichtigsten Betriebssystemen sowie Browsern dürfte Excel die wirtschaftlich bedeutendste Software überhaupt sein. Als Controller arbeitet man beispielsweise jeden Tag damit. Und auch in sehr vielen anderen Berufsbildern kommt Excel zum Einsatz. Anders gesagt: Excel ist aus dem modernen Unternehmensalltag nicht mehr wegzudenken!
Excel ist demnach eine wahnsinnig einflussreiche Software, die die letzten 20 bis 30 Jahre der gesamten wirtschaftlichen Entwicklung maßgeblich geprägt hat.
Case in Point: Der Instagram-Account excelhumor.xlsx hat über 300.000 Follower (ich bin einer davon). Die verbreiteten Memes nehmen typische Macken und Eigenheiten von Excel humoristisch aufs Korn – zugleich sind sie eine Liebeserklärung an eine der wichtigsten jemals gebauten Software.
2. Die Macht der Verbreitung
Excel ist die Software für Tabellenkalkulation.
Obgleich Google Sheets zunehmend (gerade im Uni-Umfeld) an Bedeutung gewinnt und Kundensegmente im Anforderungsbereich anspricht, ist Excel nach wie vor der absolute Platzhirsch, wenn es um wirklich seriöse Tabellenkalkulation geht.
Für zunehmend anspruchsvolle Anwendungsfälle gibt es mittlerweile Software wie PowerBI, Tableau sowie Alteryx oder auch „richtige“ Programmiersprachen wie Python und R für anspruchsvolle Datenanalysen. Und doch kann auch hier Excel nach wie vor punkten.
Aufgrund der weiten Verbreitung von Excel ist der Einsatz von Excel immer noch „akzeptiert“ und auf fast jedem Computer ist heute Excel installiert.
3. Die Macht der Vielseitigkeit
Während professionelle Enterprise-Software unglaublich komplex ist (man denke nur an SAP oder Salesforce-Systeme), lassen sich mit Excel viele kleine Apps innerhalb kürzester Zeit verwenden.
In nicht wenigen Unternehmen wird die Personal- und Budgetplanung von kleinen Teams komplett in Excel abgebildet. Aus meiner Zeit als Unternehmensberater weiß ich auch, dass Excel in vielen Unternehmen in der Lage ist, eine komplette Betriebsmannschaft zu steuern.
Während es für all diese Fälle oft dedizierte Software-Lösungen gibt, hat Excel aufgrund seiner Vielseitigkeit nicht selten die Nase vorn. Die »App« zum Steuern des Vertriebs, die auf einer Excel-Tabelle basiert, kann beliebig »gecustomized« werden. Es wird einfach eine Spalte oder Zeile angefügt oder eine Formel geringfügig angepasst.
Anpassungen sind natürlich auch in dedizierter Software möglich, jedoch ist damit nicht selten ein erheblicher Aufwand verbunden: Entweder es handelt sich um eine Drittanbieter-Lösung, dann muss dieser die Software anpassen (und das ist teuer); oder es handelt sich um eine interne Software-Lösung, dann müssen Requirements und schwer verständliche Lastenhefte definiert sowie Kapazität zur Weiterentwicklung beantragt werden. Bei der Excel-Lösung geht es viel schneller und vielseitiger.
Klar ist aber auch: Excel wird oft missbraucht für Anwendungsfälle, für die es gar nicht geeignet ist. So gibt es unter anderem abertausende „Datenbanken“, die in Excel aufgesetzt sind. Erstaunlich ist, dass Excel sogar für diesen gar nicht vorgesehenen Anwendungsfall oft erstaunlich funktioniert. Das liegt an der Kombination der ersten drei Punkte: Aufgrund von Excels Einfluss und der Verbreitung gepaart mit der Vielseitigkeit lädt Excel geradezu dazu ein, es für viele Anwendungsfälle zu verwenden.
Aus diesem Trend heraus sind viele Excel-Derivate wie Notion (verheiratet eine leanen Version von Excel mit einer leanen Version von OneNote/Word) und insbesondere Airtable entstanden. Das sind Lösungen, die Excel-DNA enthalten, aber für viele Custom-Anwendungen besser geeignet sind. Der Bedarf nach solchen Lösungen zeigt sich in der Bewertung der genannten Unternehmen. Notion wird mit 10 Milliarden US-Dollar bewertet (Stand Oktober 2021), Airtable gar mit 11 Milliarden US-Dollar (Stand Dezember 2021).
Als kleine Case-Study zur Demonstration der Vielseitigkeit von Excel (und seinem Kumpel Numbers) möchte ich in diesen Zusammenhang auf die verschiedenen Excel- und Numbers-Dashboard-Templates hinweisen, die ich im Laufe der Zeit erstellt habe.
1. Das Lerntagebuch
Das Lerntagebuch habe ich von 2014 bis 2019 sehr erfolgreich zum Steuern meines Lernprozesses im Studium eingesetzt. 2020 ist daraus die App Athenify entstanden (weil Excel und Numbers eben doch Grenzen haben, die eine App nicht hat). Lies mehr zur Entstehung des Lerntagebuchs in diesem Artikel.
2. Das Lesetagebuch
In den letzten sechs Jahren habe ich jedes Buch, das ich gelesen habe, in einer Numbers-Datenbank getrackt. Die daraus entstandene Bibliothek und das zugehörige wunderschöne Dashboard sind mein Lesetagebuch. Lies mehr dazu in diesem Artikel.
3. Das Habitdashboard
Seit 2015 tracke ich meine Habits mit einem Habit-Dashboard. Lies mehr dazu in diesem Artikel.
4. Das Vermögensdashboard
Das Vermögensdashboard ist das am weitesten entwickelte Net-Worth-Tracking für Apple Numbers (Apples Version von Microsoft Excel). Mit dem tracke ich monatsgenau mein gesamtes Vermögen. Seit Kurzem biete ich dieses Dashboard nun auch zum Kauf an (Hinweis: Die Werte im Screenshot sind fiktive Werte).
5. Mein persönliches KPI-Tracking
Seit September 2015 tracke ich täglich meine Gewohnheiten. In den >2.000 Tagen, die ich bisher getrackt habe, haben sich nicht nur meine Gewohnheiten geändert. Auch die Art und Weise, wie ich tracke, habe ich nach und nach immer weiterentwickelt.
Mittlerweile gibt es neben dem täglichen Tracking auch ein wöchentliches, monatliches und jährliches Tracking. Während das wöchentliche Tracking eine einfache Aggregation des täglichen Trackings darstellt, verwende ich das monatliche Tracking (und das daraus abgeleitete jährliche), um das »Big Picture« im Auge zu behalten. Lies mehr zu meinen persönlichen KPIs in diesem Artikel.
4. Die Macht der Geschwindigkeit
Excel ist schnell. Innerhalb weniger Minuten lassen sich recht komplexe quantitative Zusammenhänge abbilden. Das geht schneller und besser als auf Papier und auch besser als mit einem Taschenrechner.
Excel ist ein ausgezeichnetes Tool für semi-komplexe (und wirklich komplexe) Bierdeckelrechnungen. Excel eignet sich demnach als Tool zum Erstellen von Prototypen und Mockups. In der Realität sind diese Prototypen sogar production ready, was nichts anderes bedeutet, als dass diese Prototypen das finale Produkt sind.
Das liegt ganz einfach daran, dass es weitaus länger dauert, aus einem Excel-Prototyp eine richtige App zu bauen. Und oft steht dieser Aufwand mit dem zu erwartenden Nutzen der Anwendung eine einem Missverhältnis. Die Lösung ist demnach ganz einfach: Der Excel-Prototyp wird einfach weiter eingesetzt und dann wächst daraus eine historische Lösung.
In vielen Unternehmen gibt es also Dinosaurier-Excel-Tabellen, die ganz und gar nicht mehr als langsam zu bezeichnen sind. Wie Zombies bleiben sie ewig am Leben und machen vielen Mitarbeitern das Leben schwer. Diese bösartigen Zombie-Dinos waren am Anfang meist noch süße, schnelle Anwendungen, die irgendwann mal als Prototyp entworfen worden sind.
Fest steht: Es gibt wenige Tools, die sich so gut für schnelle Prototypen zur Zahlenverarbeitung wie Excel eignen. Es ist aber Vorsicht geboten, wenn Excel-Dateien ein Eigenleben entwickeln und unkontrollierbar werden – das erfolgt bei einer langen Einsatzdauer automatisch und wird durch den Einsatz von schwer zu kontrollierenden Makros noch weiter beschleunigt. Hier ist also Vorsicht geboten!
5. Die Macht der Leistungsfähigkeit
Viele Data Analysts arbeiten heute mit Software wie R, Python, Tableau oder Alteryx. Während diese Lösungen in vielen Punkten leistungsfähiger als Excel sind (man denke an sehr große Datenmengen), wird oft unterschätzt, was mit Excel eigentlich möglich ist. Mit Excel lassen sich Daten einfach und dynamisch manipulieren.
Bei einer Analyse-Aufgabe im Werkscontrolling stand ich vor folgendem Problem. In einer Tabelle wurden mir Zehntausende SKUs (Stock Keeping Units) mit entsprechenden physischen Maßen angegeben. Diese Maße sahen dann beispielsweise so aus:
- »36,5×22«
- »23×2.5«.
Wer Excel kennt, weiß, dass man mit solchen Werten wenig anfangen kann. Denn die Werte sind alle in einem String
(= Text) und lassen sich nicht multiplizieren. Für die Analyse musste ich aber eine Sortierung der SKUs nach Größe (Flächeninhalt) vornehmen.
Erster Schritt. Zunächst habe ich die Spalte ausgewählt und die Dezimalstellen auf ein einheitliches Format gebracht. Wer oben genau gelesen hat, stellt fest, dass in den obigen Beispielen einmal ein Komma und einmal ein Punkt als Dezimalzeichen verwendet wurde. Wechselhafte Datenqualität für Data Analysts oft ein Thema – und nicht selten sind es einfache Dinge wie unterschiedliche Dezimalzeichen, die bereinigt werden müssen. Mit Suchen und Ersetzten
habe ich so zunächst alle Punkte durch ein Komma ersetzt, sodass alle Werte ein Komma als Dezimalzeichen verwenden.
Zweiter Schritt. Im nächsten Schritt habe ich die x- und y-Werte aufgeteilt. Dafür habe ich zwei neue Spalten eingeführt. Um den x-Wert (im ersten Fall wären das 36,5 und im zweiten Fall 23) zu erhalten, habe ich die Funktion LINKS
verwendet. Damit konnte ich alle Zahlen, die vor dem »x« stehen, extrahieren.
Dritter Schritt. Nun benötige ich noch die y-Werte. Hier ist das Problem, dass ich nicht genau weiß, wie viele Chars
vorhanden sind (also aus wie vielen einzelnen Elementen der Wert besteht). Also habe ich die Länge der gesamten Zelle mit LEN
ermittelt und dann mit RECHTS
den y-Wert extrahiert. So konnte ich schließlich aus der Zelle »36,5×22« zwei Zellen mit den Zahlenwerten 36,5 und 22 ermitteln. Und die Formeln, die ich in Excel dafür verwendet habe, sind so aufgebaut, dass sie auch für die über 15.000 anderen Zeilen funktionieren.
Vierter Schritt. Schließlich konnte ich die Fläche der 15.000 SKUs berechnen (indem ich die x- und y-Werte miteinander multipliziere) und die SKUs dann basierend auf vordefinierten Kriterien clustern.
Fazit. Hätte ich die Fläche in jeder der 15.000 Zeilen einzeln bestimmen müssen, wäre dies nahezu ein Ding der Unmöglichkeit gewesen – auf jeden Fall aber mit unglaublicher Frustration verbunden. Mit ein paar zusätzlichen Spalten und robusten Formeln konnte ich mithilfe von Excel die gewünschten Flächen-Werte berechnen. Verwendet habe ich hierfür „handelsübliche“ Funktionen von Excel wie LINKS
, RECHTS
sowie LEN
.
Auch wenn es sich dabei natürlich um ein einfaches Beispiel handelt, zeigt es doch, dass Excel recht leistungsfähig sein kann, wenn es darum geht, Daten zu manipulieren. »Manipulieren« verwende ich hier in dem Sinne, als dass Daten in ein nutzbares Format gebracht werden.
Fazit
Excel ist aus dem modernen Arbeitsalltag nicht wegzudenken. Obgleich oft missbräuchlich verwendet, ist Excel nach wie vor ein wertvolles Tool und sollte im Skillset jeder Person, die regelmäßig mit Zahlen arbeitet, zumindest auf basalem Niveau vorhanden sein.
Fest steht auch, dass Excel in Zukunft immer mehr von anderen Software-Lösungen ersetzt werden wird – zumindest in den Anwendungsfällen, wo diese Lösungen besser als Excel geeignet sind. Ich denke da insbesondere an folgende Anwendungsfälle.
- Zusammenarbeit und Online: Das gesamte Office-Paket wurde von Google Docs disrupted, weil die Zusammenarbeitsfeatures von Google Docs besser sind als die von Office. Das gilt auch für Google Sheets, das über einen geringeren Funktionsumfang als Excel verfügt, für gemeinschaftliches Arbeiten aber besser geeignet ist. Außerdem werden vermehrt Tools mit Online-APIs wie Rows zum Einsatz kommen, welches mit zahlreichen API-Integrationen wie z. B. Twitter, Instagram, Stripe und Aktien-Daten von Alpha Vantage ausgestattet ist.
- Große Datenmengen und Visualisierung: Excel ist langsam im Bezug auf reine Rechengeschwindigkeit. Ferner ist Excel auf etwa 1.000.000 Zeilen limitiert – ein Wert, der in der heutigen data-rich Umgebung als gering bezeichnet werden darf. Deshalb werden Tools, die mit großen Datenmengen umgehen können, vermehrt zum Einsatz kommen. Das sind vornehmlich PowerBI (von Microsoft selbst, ein wegweisendes Tool) sowie SAP Analytics Cloud (Hauptvorteil: direkt mit SAP verbunden) sowie Tableau (mittlerweile das Business-Intelligence-Tool).
- „App“-artige Anwendungsfälle und No-Code: Unzählige SaaS-Prototypen leben aktuell als Excel-Tabellen. Das funktioniert oft erstaunlich gut, bringt Excel aber rasch an seine Grenzen. No-Code-Tools wie die angesprochenen Notion und Airtable sind hierfür die besseren Werkzeuge und werden in Zukunft für solche Anwendungsfälle auch immer mehr zum Einsatz kommen.
Aufgrund der fünf angesprochenen Punkte – Einfluss, Verbreitung, Vielseitigkeit, Geschwindigkeit und Leistungsfähigkeit – glaube ich, dass Excel auch in Zukunft noch zum Berufsalltag gehören wird. Allerdings werden die Anwendungsfälle differenzierter, weil Excel eben keine one-size-fits-all-Lösung ist. Und dennoch: Excel mag seine Ecken und Kanten haben und ist doch eine fundamental bedeutende Software, die ihren Platz in der zivilisatorischen Historie absolut verdient hat.